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Donnerstag, 19. März 2020

{Bleib zuhause} Wir brauchen radikale Empathie!

Eine Sekunde angespannte, geteilte Stille. Dann kollektiver Jubel.
Menschen liegen sich in den Armen.
Ein Gefühl der Verbundenheit, die weit über diesen Moment hinausreicht, liegt in der Luft.
Die EM wurde bereits auf nächstes Jahr verschoben.
Aber wer sagt eigentlich, dass diese endlichen Momente des Eins-seins, der Unendlichkeit nur an Großevents mit Massen spürbar ist?

Provokant, aber was wäre wenn die Corona-Krise, sich genauso anfühlen würde?
Ihr denkt jetzt: "Ironisch, in Zeiten von "Anstand halten, Abstand wahren" und Social Distancing sind wir uns so fern wie nie".
Aber das stimmt nicht!
Wenn ich in diesen Tagen Zeitung lese, mich durch die Onlineweiten klicke, dann stoße ich auf viele umarmende Worte, Mut und vor allem Solidarität.
Als würde die Hälfte der Welt sich aneinander festhalten im übertragenen Sinne.

Und dann gibt es da noch die, die sich wortwörtlich aneinander festhalten.
Die, die auf Verbote mit Trotz reagieren.
Auf Einschränkungen mit Carpe-diem-Ausbrüchen.


Ich bin so wütend und habe Weltangst!


Ich habe mich dazu entschieden, mich zu der Corona-Krise zu äußern, weil ich verdammt wütend bin.
Ich bin verdammt wütend, wenn ich Fotos vom Marienplatz sehe, auf dem sich zu hundert Sonnenanbeter*innen tummeln und so tun, als gäbe es kein Morgen mehr.
Vor allem wenn diejenigen dann auch noch auf Instagram #staythefuckhome posten.
"Aber das Wetter war doch so schön."
Ich bin verdammt wütend, wenn Leute immer noch behaupten, dass sie keine Angst vor dem Virus hätten, weil sie ja jung seien.
Wie kann man es jetzt immer noch nicht verstanden haben, dass es in einer Pandemie nicht um DICH geht?

Auch ich liebe es aktiv zu sein, tanze gerne die Nächte durch und sitze bis zum Morgengrauen auf dem höchsten Berg der Stadt, um gemeinsam in den Tag zu blinzeln.
Aber das geht gerade nicht. Punkt. Und das müssen wir alle erkennen. Heute noch!

Ich bin verdammt wütend, wenn ich mit jungen Menschen spreche, die zur Risikogruppe gehören und sich noch nicht einmal mehr zum spazieren gehen aus dem Haus trauen, aus Angst angesteckt zu werden.
Ich bin verdammt wütend, wenn jemand, es als "übertrieben" ansieht, wenn jemand anderes, ein Treffen absagt.
Ich bin verdammt wütend, wenn eine Kassier*in, die den ganzen Tag schutzlos Hustern ausgeliefert ist, sich auch noch mit aggressiven Kund*innen herumschlagen muss, die Hamsterkäufe tätigen.
Und nein, Corona ist kein Resultat einer Kooperation zwischen der Presse und des Satans, Bolsonaro!
Jetzt ist es raus.


Zivilcourage war nie einfacher: Du musst nur zuhause bleiben, um Dich solidarisch zu zeigen und allen zu helfen.

Denn diese Krise schaffen wir nur gemeinsam! Wir könnten diese Krise als Chance sehen.
Als Chance für gelebte Solidarität.
Indem wir alle unsere sozialen Kontakte einschränken.
Empathie war noch nie radikaler in ihrer gefühlten Untätigkeit. Einfach "nur" zuhause bleiben.


"Menschen tun sich zusammen und werden Teil von etwas Größerem." (Margarete Stokowski)

Wir stehen vor einem historischen Moment, vor einer Krise, die unsere Gesellschaft, die Wirtschaft, jeden Einzelnen von uns vor Einschränkungen, Einbußen und Herausforderungen stellt. Und wir haben den Einfluss auf deren Dauer.

Dabei geht es in dieser Krise darum, dass sich Menschen virtuell (!) zusammentun und Teil von etwas Größerem werden.

Wenn uns unsere Enkel später fragen: "Oma / Opa, wie bist Du eigentlich damals mit der Corona-Krise umgegangen?".

Dann will ich mit reinem Gewissen sagen können, dass ich Solidarität gelebt habe. Und wir es alle gemeinsam geschafft haben.
Denn wir sind nicht allein in dieser Situation, wir sind alle zusammen und Teil eines Größeren.

"Hoffnung ist nicht die Gewissheit,
dass etwas gut ausgeht,
sondern die Überzeugung,
dass etwas Sinn hat,
egal wie es ausgeht."
(Vaclac Havel)



Wut ist meine Emotion, Liebe meine Reaktion. Das sagte Madeleine Alizadeh. In diesen Zeiten ist es meiner Meinung nach besonders wichtig, ein starkes weiches Herz zu haben (s. auch ihr Buchtitel).
Stark, um nicht in Panik zu verfallen, Solidarität zu leben.
Weich um sich in Menschen einzufühlen, die unter Existenzängsten oder psychischen Problemen leiden. 
Und um uns immer wieder in die Menschen einzufühlen, denen es schlechter geht als uns.

Radikale Empathie - auch für Menschen, die unter Social Distancing besonders leiden


Dazu gehören Menschen mit psychischen Erkrankungen, vor allem Menschen, die unter einer Angststörung leiden.
> Telefonseelsorge unter der: 0800/111 0 111 und der 0800/111 0 222

Ebenfalls ein großes Problem sind Opfer häuslicher Gewalt, die unter der Situation verstärkt leiden. Vor allem Frauenhäuser stehen vor der Gefahr, schließen zu müssen. Dadurch könnten auch Feminizide zunehmen.
> Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 08000 116 016

Gutes tun in Zeiten der Corona-Krise


Wenn Du jung und gesund bist (und nicht zur Risikogruppe zählst), kannst Du Dich der #Nachbarschaftschallenge anschließen.

Fast jede Stadt hat schnell eine Facebook-Gruppe aus dem Boden gestampft, in der Hilfsgesuche und Gebote online gestellt werden können.
Da Hilfe offline aber ebenso wichtig wie online ist: Hängt einen Zettel in Eurem Haus auf oder werft sie in Briefkästen älterer Menschen und bietet Eure Hilfe fürs Einkaufen, Gassigehen etc. an.

Die Ärmsten sind am Schutzlosesten


Die meisten von uns haben ein Zuhause, ein Dach über dem Kopf. Aber was passiert mit den Menschen, die auf der Straße leben? Den Menschen, die sowieso schon unter dem Existenzminimum leben?
Nicht nur Kranke, auch Arme zählen zu den Schwächsten in Zeiten dieser Krise.

Im Schwabenland - ebenso wie vermutlich in weiten Teilen Deutschlands - werden dringend ehrenamtliche junge Helfer*innen gesucht, die den Tafelbetrieb am Laufen halten.

Ebenfalls sehr sinnvoll: Diese Petition zu unterschreiben.
Denn die über 20.000 Flüchtlinge auf Lesbos würde der Corona-Virus besonders hart treffen. Es ist in unserer Verantwortung, die Flüchtlingscamps so schnell wie möglich zu evakuieren.
> Mehr Infos findet Ihr zum Beispiel hier auf Zeit Online zu dem Thema, in dem ein Rechtsanwalt und ein Mediziner die Sachlage erklären.

Kinos, Cafés, Buchhandlungen und Co.: ein (Lese-)zeichen setzen


Ich habe beschlossen, ungefähr zehn Euro die Woche für Kulturbetriebe zu spenden. Gerade kleine Cafés, Läden (Tipp: Gutscheine kaufen), unabhängige Buchhandlungen und Kinos haben es sowieso immer schwer, über die Runden zu kommen.
Nun trinke ich einfach einen Kaffee virtuell für sie mit. Gerade meine Lieblingscafés in Stuttgart, das Café Babel und das Café Galao (mit seiner großartigen Konzertszene) sind aus meiner Welt nicht wegzudenken.

Eine tolle Initiative ist das "Kino On Demand". Wenn Ihr mal einen Film im Kino verpasst habt, könnt Ihr diesen für ca. zwei bis fünf Euro nun online ausleihen. Und selbst entscheiden, welches Kino Ihr damit unterstützen möchtet.

Als freie Autorin für das Stuttgartmagazin Lift habe die Folgen für unser Monatsmagazin selbst zu spüren bekommen. Wenn Ihr Zeitschriften und Zeitungen unterstützen wollt, könnt Ihr dies durch Online-Abos tun.

Und damit der Lesestoff zuhause nie ausgeht, könnt Ihr bei den meisten Buchhandlungen nun einfach online Eure nächste Lektüre ordern.

Tipps gegen Langeweile 


Und wem doch mal langweilig sein sollte, der kann die Mediatheken von Arte und Co. durchstöbern, eine neue Sprache lernen, lesen oder Briefe schreiben!
Viele Künstler*innen stellen mittlerweile Wohnzimmerkonzerte online (am 22. März findet ein kleines Wir-bleiben-zuhause-Festival von sechs deutschsprachigen Sänger*innen auf Instagram statt, Infos gibt's hier), es gibt online Yoga- und Sportworkouts und viele weitere Kulturperlen vor dem heimischen Bildschirm.


"So ist das Leben und so muss man es nehmen,
tapfer, unverzagt und lächelnd -
trotz alledem."
(Rosa Luxemburg)


Vielleicht bin ich naiv, aber ich habe die tiefe Zuversicht, dass wir das schaffen.
Gemeinsam. 
Stillstand um keine Welt zu gefährden.
Bleibt zuhause und erkundet das innere Zuhause neu - frei von Überkonsum und hektischem Alltag.
Saugt solange es geht (die Ausgangssperre ist höchstwahrscheinlich unvermeidlich und sinnvoll) Vitamin D und Lachen auf, bei einem täglichen Spaziergang allein. 
Umarmt Euch mit Worten. 
Und lasst uns einfach dankbar für dieses verdammt bittersüße Leben sein und all' die Menschen, die gerade so sehr für unsere Realität kämpfen, all' die Pfleger*innen, Ärzt*innen, Journalist*innen, Kassierer*innen und ehrenamtliche Helfer*innen!

Ich sende Euch eine virtuelle Umarmung und glaub' an uns,
Eure Hannah

10 Kommentare:

  1. Liebe Hannah, tiefgründig. Emotional und gleichzeitig informativ. Und was mir am besten gefällt: mit Deinen Tipps zeigst Du Handlungsanweisungen und Perspektiven! Und vermittelst Optimismus. Das ist nach meiner Einschätzung - neben dem Abstand halten - das Wichtigste in dem Moment. Ein sehr persönlicher Beitrag, der aufs Ganze schaut. Journalismus at it’s best. ��

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    1. Liebe Claudia,
      ich danke Dir für Deine Wertschätzung und Dein großes Lob, das mir sehr viel bedeutet.
      Du bist mein journalistisches Idol!
      Sonnige Grüße zu Dir,
      Hannah

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  2. Liebe Hannah, du sprichst uns aus tiefstem Herzen. Es ist immer wieder schön zu lesen, wie du die richtigen Worte zu den verschiedensten Anlässen findest und es auf den Punkt bringst. Bleibt gesund, damit wir uns alle bald wieder sehen! Jussy und René

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    1. Liebe Jussy, lieber René,
      ich danke Euch für Eure Worte und dass Euch meine geholfen haben.
      Merci,
      Hannah

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  3. Liebe Hanni,
    sagenhaft ausgedrückt! Du bringst es auf den Punkt! Danke für deine Worte, deine positive Energie und dein starker Wunsch danach, diese Welt ein Stückchen besser zu machen!
    Weiter so! Go for it !!! ✨

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    1. Liebe Claire,
      danke für Deinen Kommentar voller Energie, das bedeutet mir viel!
      Viel Kraft zurück,
      Hannah

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  4. Je ne peux malheureusement pas lire l'allemand mais je suis très contente que tu aies ouvert un blog car écris très bien. J'adore la façon dont tu transporte les gens avec toi quand tu ecris :)

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    1. Merci beaucoup pour tes mots, c´est très gentil! Et on ne sait pas, peut-être je pourrai même écrire des textes journalistiques un jour en francais... :)
      Bisous!

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  5. Der schönste Post, den ich seit langem gelesen habe, liebste Hannah ❤
    Ich melde mich bald wieder ausführlicher bei dir!!

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    1. Pur und liebevoll - ich danke Dir, Selina! <3
      Bedeutet mir besonders von Dir als ehemaliger Bloggerkolleginnen meine Welt.
      Alles Liebe zurück, Hannah

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