{Zum Weltfrauentag} Feminizide - Keine mehr!

März 08, 2020

Faust in den Magen. Handgeschriebene rote Lettern an einer dunklen Hauswand, die mich gefangen nehmen. Mir wird übel.
"Christelle, 39 ans, 74e Feminicide."
Umgebracht dieses Jahr nur ein paar Häuser entfernt von mir. Gegenüber an der Brücke: "État d'urgence - 131 feminicides."



"Feminicides - Pas une de plus!" in Montpellier - "Feminizide - Keine mehr!" auf Deutsch



149 Frauen, die 2019 in Frankreich durch ihren (Ex-)partner umgebracht wurden.
In Frankreich flammt die Debatte immer wieder auf, wie man mit diesen Zahlen umgehen sollte. 


2019 war das Jahr, in dem das Thema "Feminicide" überall war. 
Auf der Straße. 
Auf Hauswänden. 
In den Medien. 
In der Politik. 
In einem "Grenelle", einer Art parteiübergreifender Diskussionsrunde, wurde nach politischen Lösungen gesucht. 
In meiner Uni baumelte eine Girlande mit der Zahl der aktuellen Feminicide, die dann in der Kaffeepause verändert wurde, sobald der nächste Femincide publik wurde.
Die Debatte brennt aktuell - man kann sie in Frankreich nicht umgehen.


Die Reaktion verschleiert dabei das Problem oft. Medien reden mehr über den Täter als das Opfer und versuchen dabei davon abzulenken, dass partnerschaftliche Gewalt ein strukturelles Problem ist. 
Sehr schnell wird der Täter genau untersucht: Wer war dieser Mörder? Oft wird die Tatursache auf kulturelle bzw. religiöse Hintergründe geschoben. Wer war das Opfer? Könnte man ihr vielleicht sogar noch eine Leichtsinnigkeit unterstellen? Den Fehler bei ihr suchen? 
Gewalt kommt also vorrangig aus dem nächsten Umfeld, nicht aus der dunklen Straßenecke um drei Uhr nachts.

82% der Morde an Frauen werden von ihrem jeweiligen (Ex-)-partner ausgeübt.

Wir sprechen hier von Gewalt, die vorrangig von Männern ausgeübt wird.
Punkt.


Für 2020 wünsche ich mir, dass wir das Wort "Feminizid" in unseren Sprachgebrauch integrieren, wenn wir von einem sprechen.
Ist es angebracht, einen Notstand auszurufen?


Feminizide - ein Wort, das in Deutschland so gut wie nie in den Medien auftaucht. 
Wenn eine Frau in Deutschland umgebracht wird, tauchen große Schlagzeilen auf. Es steht überall - jeder bekommt es mit. Aber genau durch diese große mediale Präsenz wird das Thema schnell wieder verdrängt - auf Einzelfälle reduziert. 
Es wird von "Liebesskandalen" statt Mord gesprochen. Von "Verbrechen aus Eifersucht" statt von "machistischen Verbrechen".

Anstatt einfach mal der Tatsache ins Auge zu blicken: In Deutschland wurden 2018 122 Frauen umgebracht. 
Das bedeutet, dass alle zwei bis drei Tage eine Frau von ihrem Partner oder Expartner umgebracht wurde. 
Damit liegt Deutschland auf Platz 6 der EU-Länder was Feminizide angeht.
Das ist Fakt. 
Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. 
Und ob es nicht an der Zeit ist, das Problem strukturell anzugehen und in die Politik zu bringen. Und das fängt immer mit Sprache an!
Was haltet Ihr von der Debatte in Frankreich, das Wort Feminizide zu gebrauchen, um Gewalt an Frauen einem Namen zu geben?

#Noussommestoutes


Diesen Text habe ich letzten November während meines Auslandssemesters in Toulouse geschrieben. 
Jetzt bin ich zurück in Deutschland und stoße auf Unwissen. Viele Menschen wissen nicht, was ein Feminizid ist. Geschweige denn wie groß das Problem in Deutschland ist. 
Ich schreibe diese Zeilen in der Hoffnung, dass nächstes Jahr am 8. März 2021, ein größeres Bewusstsein für partnerschaftliche Gewalt in Deutschland herrscht. 

Ich wünsche Euch noch einen schönen Weltfrauentag und Sonntag!
Eure Hannah

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6 Kommentare

  1. Sehr wichtiges Thema und wie ich finde, ein guter Artikel darüber! Ich kenne das Wort und bin auch dafür, das es benutzt wird. Hab aber noch nie großartig Artikel gelesen, in denen es verwendet wurde - außer natürlich denen, die darauf aufmerksam machen wollen.
    In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hat ein Mann auch seine Frau erschossen und danach sich selbst. Ich war nur ein Kind, habe aber tatsächlich viel mitbekommen. Das typische Gerede “War so ein netter Mann, hat mir im Garten geholfen, da muss wohl was ganz schreckliches vorgefallen sein, sonst hätte er das nie gemacht” .. von Mord war nie die Rede, tatsächlich eher von Liebesdrama, Gerüchte die Frau sei fremdgegangen.. mir ist erst Jahre später, als ich älter war, aufgefallen wie sehr die Schuld bei ihr gesucht wurde, wie sehr nach ausreden für diesen Mann gesucht wurde.. wobei die Kinder der beiden damals klare Worte fanden.. die hat das nämlich (leider!) überhaupt nicht überrascht und so toll wie er dargestellt worden war, war er nicht.

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    1. Danke für Deinen Kommentar, Sarah!
      Deine Reflexion zu dem Thema kann ich gut nachvollziehen, danke fürs Teilen.

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  2. Ein sehr bewegender Artikel tritt oder gerade wegen des sachlichen Tons. Damit hast Du ein Thema angestoßen, das in der deutschen Öffentlichkeit tatsächlich noch ein blinder Fleck ist. Ich würde mir wünschen, dass der Text in vielen Medien zu lesen ist.

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  3. So wichtig Hannah - wie kann man die Welt wach rütteln?
    Ich frage mich das bei vielen Themen. Mein Resümee: Schreiben ist ein guter Weg.

    Und du kannst das richtig gut. Schreiben. Themen finden, die gefunden werden müssen.

    Was geschrieben steht, das bleibt stehen - Das gesprochene Wort kann man viel leichter vergessen, schlechter wiederholen. Zumindest geht es mir so. Lesen, was Du geschrieben hast - es Anderen vor-Lesen und gemeinsam aufwachen.

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